Ein Schaf und seine Lämmlein in Wales
Auszeit, Abstand zum Alltag, Verlangen nach Ruhe, Neugier, Erleuchtung – es gibt viele Gründe sich für einen Besuch und Aufenthalt in einem Ashram zu entscheiden. Für mich war es vor allem das schwierige Jahr hinter mir zu lassen und Abstand zum Alltag zu schaffen, damit ich mich so ohne Einfluss von außen für meine nächsten beruflichen Schritte entscheiden konnte. Des Weiteren wollte ich meine Meditationspraxis weiter vertiefen. Die Tatsache, dass ich kurz vor meinem 40. Geburtstag stand, war wahrscheinlich kein Zufall. ;)
Schon mal vorweg: es war die richtige Entscheidung.
Ich habe nach Ashrams in Indien gesucht, denn das kam mir zuerst in den Sinn. Aber innerlich habe ich mich davor gesträubt, so weit zu fliegen. Zumal ich keine Empfehlung in der Hand hatte, sondern auf gut Glück ein Ashram suchen musste. Außerdem wollte ich Programm und nicht einfach nur eine Auszeit in einem Ashram haben. Die andere Option einer intensiven 4-wöchigen Weiterbildung wäre zu dem Zeitpunkt auch nicht das Richtige gewesen. Also suchte ich weiter und fand ein wunderschönes Ashram in Wales, das einfach perfekt klang. Das Programm hieß „Developing Sadhana“ (persönliche Praxis entwickeln) und es war genau das, was ich suchte: ein bisschen Ashram Leben, viel Meditation, Chanting, Workshops, Hatha Yoga und köstliches Essen. Und das Beste: mit einer 3-stündigen Fahrt liegt es nur einen Katzensprung von Birmingham entfernt.
Mitte Juni bis Mitte Juli 2023 ging es also dort hin und ich wurde bei der Auffahrt bereits von dem Mähen der Schafe begrüßt.
Mandala Yoga Ashram, Wales
Der Tagesablauf:
5:30 Morgenglocke (dein analoger Wake-Up Call, es läuft tatsächlich jemand mit einer Glocke durch den Hof und weckt alle)
6:15 Hatha Yoga (sehr achtsames Hatha Yoga)
7:50 Chanting & Meditation (dies findet für alle im Ashram täglich statt)
8:45 Frühstück (Porridge mit Früchten, oder Müsli)
9:30 Karma Yoga (Garten, Wartung, Küche, Haushalt)
11:00 Teepause
11:30 Kurs, Workshop, Meditationstechniken etc.
13:00 Mittagessen und Pause
15:30 Yoga Nidra
17:00 Kurs, Workshop, Meditationstechniken etc.
18:15 Abendessen
21:00 Mouna (Schweigezeit bis zum Frühstück)
Ashram und Umgebung
Schöner könnte es nicht sein: Gelegen auf einem Hügel im Süden Wales, an einem Wäldchen angrenzend, umgeben von Feldern mit vielen Schafen und ausreichend weit entfernt vom nächsten Städtchen. Das Anwesen ist dank des Karma Yogas super gepflegt und alles ist top in Schuss. Die Bewohner des Ashrams haben teilweise eigene Hütten auf dem Anwesen verteilt. Es gibt zwei Aussichtspunkte, wenn einem das Anwesen mal zu eng erscheinen sollte. Ich bin jeden Tag nach dem Mittagessen eine Runde außerhalb des Ashrams spazieren gegangen (ca. 1 Std.). Hier habe ich aus nächster Nähe einen Rotmilan, Rehe und einen Igel gesehen. Wenn es mal zu viel regnet, du aber trotzdem Natur möchtest, kannst du dich in eines der Gewächshäuser setzen.
Ich habe mir ein Zimmer mit einer weiteren Kursteilnehmerin geteilt. Die Räumlichkeiten sind sehr gemütlich mit viel Holz. Wir hatten das beste Zimmer mit eigenem Bad. Alle anderen Zimmer teilen sich Bäder im Gang. Alles ist super organisiert und strukturiert. Sobald du dort ankommst, wird dir alles gezeigt. An der Wand im Eingang stehen alle notwendigen Informationen und immer aktuell gehalten.
Das Besondere an diesem Ashram ist die Tatsache, dass es keinen religiösen Hintergrund hat, d.h. kein Anbeten von Gottheiten mit Bildern oder Figuren. Es wird das LEBEN geehrt.
Llanwrda, Wales
Essen
Zum Frühstück gab es mit Liebe zubereitetes Porridge. Aus dem Obstkorb konnte man sich Obst dazu mischen. In der Teepause gab es dann Tee und Kekse. Das nahrhafte Mittagessen ist das Hauptmahl mit vielen Hülsenfrüchten, Gemüse, Kohlenhydraten, Salat und guten Fetten, also alles was der Körper braucht. Zum Abendessen, gab es dann eine köstliche Suppe mit hausgebackenem Brot, etwas Käse und den Resten vom Mittagessen.
Freier Tag pro Woche
Einmal pro Woche gab es einen freien Tag. Dann kannst du Wanderungen unternehmen, im Flüsschen baden, einen Ausflug machen (allerdings benötigt man dafür ein Auto) oder einfach nur im Ashram verweilen. An diesem Tag gibt es zwei Mahlzeiten, dafür aber ein reichhaltiger Brunch und ein frühes Abendessen. Ich finde es toll, dass die Person, die an dem Tag dafür eigenteilt ist, sich immer besonders viel Mühe gibt. Die Bewohner geben viel Liebe und Selbstlosigkeit in ihr Karma Yoga.
Karma Yoga
Es gibt 4 Bereiche: Wartung, Garten, Küche und Haushalt. Der Sinn ist das selbstlose Arbeiten, das Aufgeben von Perfektionismus, die Toleranz gegenüber anderen, die nicht so ‚richtig‘ anpacken :D und sobald die Glocke läutet auch aufhören zu können. Außerdem gibt dies einen Ausgleich zum Meditieren und zum vielen auf dem Boden sitzen (auf dem Stuhl sitzen ist natürlich auch möglich). Mir hat es geholfen, dass ich nach meiner Rückkehr Hause nun nichts mehr aufschiebe. Dinge, die gemacht werden müssen, mache ich nun immer gleich nach dem Frühstück ohne viel darüber nachzudenken.
Mein Lieblingsplatz im Garten vom Mandala Yoga Ashram, Wales
Wenn du am Boden liegst, kannst du nur aufstehen.
Andere Teilnehmer und Bewohner
Noch unterschiedlicher hätten die Teilnehmer nicht sein können. Unterschiedliche Alter, Hintergründe, Lebensabschnitte, Geschlechter. Dennoch haben wir alle etwas gemeinsam: wir sind auf der Suche… aber nach was eigentlich?
Was an unserer Gruppe auffällig war, war deren musikalisches Talent. So gab es an den freien Tagen oder Abenden informelle Kirtanabende. Die Bewohner sind jederzeit sehr nett und hilfsbereit, wenn etwas sein sollte.
Jeder im Ashram und darüber hinaus, hat seine eigene Geschichte. Das heißt auch im Ashram gibt es Potenzial für Auseinandersetzungen oder Missverständnisse. Eine komplette Flucht von der Realität ist es nicht und sollte auch nicht die Intention sein.
Halte nicht an Emotionen fest, denn sie ändern sich alle 10 Minuten sowieso wieder.
Mouna
Jeden Abend nach 21 Uhr bis zum Frühstück und die ersten 15 Minuten während des Essens ist Schweigen angesagt. Darüber hinaus gab es 3 Tage pro Woche am Stück Schweigezeit. Zunächst fand ich es schade, denn die anderen Kursteilnehmer waren so toll und wir haben uns alle sehr gut verstanden. Aber nachher habe ich den Sinn verstanden. Denn in der Stille liegt die Erkenntnis. Natürlich ist es auch schön, sich auszutauschen und so neue Impulse und Sichtweisen zu erhalten. Allerdings kommt es dort auf das Gleichgewicht an. Nach den Schweigetagen, erlebte ich auch wieviel Energie und gleichzeitig Ruhe ich empfand. Im Nachhinein muss ich sagen, war dies der beste Teil. Hier wird dann auch empfohlen, z.B. kein Buch zu lesen. Also wirklich nichts zu tun, was dich ablenkt, sondern stattdessen mit dir und deiner eigenen Gegenwart und Gedanken auszukommen. Dadurch trainierst du so unglaublich viel Geduld und seitdem wird mir bei längeren Wartezeiten nicht mehr langweilig.
Schwierig wurde es eher aus der Schweigezeit wieder rauszukommen, da einige, die es nicht so genießen konnten, besonders laut waren, um die aufgestaute Energie loszuwerden. Da kannst du dich mit gutem Gewissen zurückziehen, wenn du möchtest.
Aussicht vom Mandala Yoga Ashram, Wales
Mentoring
Einmal die Woche hast du ein Mentoring mit einem der Lehrer. Diese Zeit kannst du nutzen, deine Herausforderungen zu besprechen oder Feedback zu geben. Es ist also frei gestaltbar. In einem meiner Gespräche habe ich folgendes Zitat erhalten mit der Aufgabe, darüber zu meditieren:
„Frage dich nicht, was die Welt braucht. Frag dich lieber, was dich lebendig macht. Denn die Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die lebendig sind.“ Howard Thurmann.
Hatha Yoga
Die Asanapraxis ist seeeehr achtsam und einfach nur toll. Gerade für Menschen, die viel Yogapraxis haben, ist es gut einen Gang zurück zu schalten. Ich war schon der Meinung, dass ich eher achtsam Yoga praktiziere, da ich die schnellen Vinyasa Stile nicht besonders mag. Aber das hier ist eine ganz andere Ebene. Du lernst die einzelnen Körperteile und deren Verbindungen mehr zu spüren. Und vor allem ENTSCHLEUNIGT es dich.
Yoga Nidra
Jeden Nachmittag gab es Yoga Nidra, das eine Entspannungsübung ist. Auch nach 4 Wochen muss ich sagen, dass ich keinen großen Benefit erfahren habe. Wenn ich im Alltag Stress empfinde, ist diese eine sehr schöne Übung, sich zu entspannen. Aber nach der langen Mittagspause, führte es eher dazu, dass wir ein Schnarchorchester hatten. Daher würde ich empfehlen, in der Mittagspause ein Nickerchen zu machen, um die Yoga Nidra Praxis nicht mit Schlaf zu verpassen oder dagegen ankämpfen zu müssen.
Chanting & Meditation
Jeden Morgen gab es Chanting (Singen) mit einer geführten Meditation im Anschluss. Zusätzlich fanden an 2-3 Abenden sogenannte Kirtans mit Chanting oder auch Satsangs zum Austausch statt. Einmal pro Woche stand eine Feuerzeremonie mit Chanting auf dem Programm. Und hin und wieder eine längere Sitzung mit stillen Meditationen. Eine ganz besondere Erfahrung war eine 5,5 stündige Japa Meditation. Hier haben wir sitzend oder gehend mit Hilfe eines Malas (Gebetskette) die gesamte Zeit der Meditation ein Mantra wiederholt. Dabei hatten wir keinen Blick auf die Uhrzeit und haben somit jegliches Zeitgefühl verloren.
Das Chanting hat mir bei der Vorbereitung für die Meditation besonders geholfen und ist einfach ein schöner Ausgleich zur Stille.
Der spirituelle Prozess braucht Mut, Wille und Vertrauen.
Sadhana-Raum (für die Yoga-Praxis) im Mandala Yoga Ashram, Wales
Abschied
Zum Abschluss hatten wir einen ganz besonderen Kirtanabend: ein künstlerisches Zusammenkommen, hauptsächlich mit Gesang, aber auch einigen Gedichten. Es war toll zu sehen, wie sich viele geöffnet haben. Der Abschied ist uns nach so einer langen intensiven Zeit natürlich sehr schwer gefallen.
Ich bin sehr froh, dass ich mich für dieses Ashram entschieden habe und somit bin ich ein Jahr später noch einmal dorthin gegangen. Es hat sich so angefühlt, als ob ich nie weg gewesen wäre. Ein anderes Mal mehr dazu.
Wichtig bei so einem Vorhaben ist natürlich die Erwartungshaltung. Wenn die Erwartung Erleuchtung oder Heilung sein sollte, dann setzt man sich möglicherweise nur unnötig unter Druck. Die Absicht sollte sein, wie der Name des Programms sagt, eine persönliche Praxis aufzubauen und einfach eine gute Zeit zu haben. Natürlich ist die Erfahrung dann auch ganz individuell und jeder Teilnehmer würde bestimmt etwas anders berichten. Ich bin hier nicht ins Detail gegangen, da es zum einen sehr persönlich ist und zum anderen deine Erwartungshaltung beeinflussen könnte.
H.Hesse in Siddharta: „Wissen kann man transferieren, nicht aber Weisheit. Diese erhalten wir durch Erfahrung.“
Wenn du noch Fragen hast, schreib mich gerne an oder kommentiere den Beitrag. Ich freue mich auf den Austausch.
Alles Liebe,
Nilda
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